Verwaltungsvorschrift zur Anwendung von Planungsfristen für die Bedarfsplanung (Planungsfristerlass)
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Verwaltungsvorschrift zur Anwendung von Planungsfristen für die Bedarfsplanung
(Planungsfristerlass)
Runderlass des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales
– VA4-93.21.01 –
Vom 21. Juli 2025
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Vorbemerkung
Aufgrund § 12 Absatz 1 des Rettungsgesetzes NRW vom 24. November 1992 (GV. NRW. S. 458/SGV.NRW. 215) in der jeweils geltenden Fassung, im Folgenden RettG NRW, stellen die Kreise und kreisfreien Städte Bedarfspläne auf. In diesen werden insbesondere die Zahl und Standorte der Rettungswachen sowie die Zahl der erforderlichen Rettungsmittel gemäß § 3 Absatz 1 und 2 RettG NRW festgelegt. Mit dem Runderlass „Fortschreibung der Rettungsdienstbedarfspläne / Definition des Begriffs „Hilfsfrist“ in der Notfallrettung“ vom 08. November 2010 - 231 – 0712.1.2 – (n. v.) und dem Runderlass „Empfehlungen zum Thema „Hilfsfristen“ in der Notfallrettung“ vom 28. November 2017 – IV B 4 - G.0713 – (n. v.) werden den Trägern des Rettungsdienstes diesbezügliche Planungsempfehlungen zur Verfügung gestellt, anhand welcher die flächendeckenden und bedarfsgerechten Vorhaltungskalkulationen erfolgen können.
Aufgrund veränderter Rahmenbedingungen innerhalb des Rettungsdienstes wurde die „AG Planungsfrist“ beauftragt, die Planungsempfehlungen und damit einhergehenden zentralen Kriterien beziehungsweise Planungsgrößen zu überarbeiten. Zwischenzeitlich hat die „AG Planungsfrist“ weiterentwickelte Vorschläge als Empfehlung vorgelegt. Mit den folgenden Empfehlungen werden die bisherigen Rahmenkriterien abgelöst. Es wird die Berücksichtigung und Anwendung der weiterentwickelten Planungskriterien empfohlen.
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Anwendungsbereich
Diese Empfehlung betrifft die Bedarfsplanung im Rettungsdienst mit Blick auf die Zahl und die Standorte bedarfsgerechter Rettungswachen sowie die Zahl der erforderlichen Rettungsmittel, für welche die Kreise und kreisfreien Städte als Träger des Rettungsdienstes zuständig sind.
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Definition der Planungsfrist
Der bisherige Begriff „Hilfsfrist“ wird als Sammelbegriff aufgegeben und durch den Begriff „Planungsfrist“ ersetzt. Das Zeitfenster der Planungsfrist ist eine planerische Größe und gilt nur für Menschen in Lebensgefahr und zur Abwendung schwerer gesundheitlicher Schäden (Notfallpatientinnen und Notfallpatienten) gemäß § 2 Absatz 2 Satz 3 RettG NRW (GVS-4, GVS-5, GVS-6 siehe Anlage 1), um geeignete notfallmedizinische Maßnahmen wirksam durchführen zu können und dafür ein leistbares Netz an Rettungsmitteln aufzubauen (Grundschutz). Dafür sind Rettungswachen (Standortplanung) sowie Fachkräfte und Rettungsmittel (Planung der Anzahl der Rettungsmittel) erforderlich, deren geographische Verteilung, Betrieb und Anzahl mit der Planungsfrist als Rettungsdienstbedarf begründet werden. Dieser rettungsdienstliche Bedarf wird im Rettungsdienstbedarfsplan gemäß § 12 Absatz 1 RettG NRW abgebildet und regelmäßig aktualisiert.
Zur Entsendung von Rettungsmitteln des dringlichen Krankentransports für Patientinnen und Patienten der GVS-Stufen 2 wird ein Fahrzeithorizont von 40 Minuten und für GVS-3-Patientinnen und Patienten ein Fahrzeithorizont von 20 Minuten vorgesehen.
Weitere rettungsdienstliche Versorgungsleistungen sind erforderlich, da sich die Hilfesuchenden hinsichtlich ihrer Bedürfnisse und ihres Zustandes immer weiter ausdifferenzieren. Das heißt, es sucht zwischenzeitlich ein wachsender Anteil der Anrufenden nach Hilfe durch den Rettungsdienst, ohne dass es sich dabei um Notfallpatientinnen beziehungsweise Notfallpatienten im Sinne des § 2 Absatz 2 RettG NRW handelt. Vielmehr benötigen diese Anrufenden keine rettungsdienstlichen, sondern andere Versorgungsleistungen wie zum Beispiel vertragsärztliche, pflegerische, palliative, sozial-psychiatrische Versorgungsdienstleistungen. Bei diesen Hilfesuchenden braucht das Eintreffen von geeigneten Rettungsmitteln beziehungsweise Versorgungsstrukturen nicht zwingend unter Nutzung von Sonder- und Wegerechten und nicht schnellstmöglich erfolgen.
Damit den über die Notrufnummer 112 eingehenden Hilfeersuchen in der zuständigen Leitstelle durch Disponierung das geeignete Rettungsmittel zugeordnet werden kann, ist bereits in der Leitstelle eine Differenzierung und Klassifizierung der Hilfeersuchen erforderlich. Für eine “Feedback-Überprüfung“ im Sinne der lernenden Qualitätssicherung, sollte diese Klassifizierung ebenfalls an der Einsatzstelle und auch in der weiterbehandelnden Klinik entsprechend durchgängig und möglichst medienbruchfrei vorgenommen werden. Ein Beispiel für eine solche Klassifizierung beziehungsweise gestuftes Versorgungssystem, im Folgenden GVS genannt, findet sich in der Anlage 1.
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Berechnung der Planungsfrist
Die Planungsfrist beginnt mit dem messbaren Dispositionsbeginn in der Leitstelle (Zeitpunkt: Einsatzannahmeende) und endet an der öffentlichen Adresse des Einsatzortes mit dem ersteintreffenden Rettungsmittel des Rettungsdienstes (Zeitpunkt: Statusmeldung 4) entsprechend der Anlage 2.
Soweit Ersthelfende oder professionelle Notfallhelfer-Systeme in organisierter Form eingesetzt werden, welche schnellstmöglich Wiederbelebungs- und einfache Rettungsmaßnahmen durchführen können, verkürzen sie zwar das therapiefreie Intervall, sind aber nicht planungsfristwirksam. Die professionellen Systeme werden allerdings hinsichtlich ihrer Eintreffzeit erfasst und sollten im Bedarfsplan ausgewiesen werden. Die Bemessungsmethoden sollen dem anerkannten Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen. Die zu messenden Zeitpunkte und Zeitintervalle sind nach dem Schema in der Anlage 2 zu setzen, auswertbar aufzuzeichnen und sollen im Rahmen der Qualitätssicherung laufend optimiert werden.
Die Zeitabschnitte und ihre Definitionen werden auch im Pilotprojekt „Datensatz Qualitätssicherung im Rettungsdienst in NRW (QSR-NW)“ des Landes Nordrhein-Westfalen genutzt und eröffnen damit Auswertungsmöglichkeiten für das Qualitätsmanagement und die Qualitätssicherung im Sinne des RettG NRW. Daher soll die Bearbeitungszeit des Notrufes in der Leitstelle bis zur Alarmierung eines geeigneten Rettungsmittels möglichst kurzgehalten werden.
Die Dauer des Notrufgesprächs und der Rettungsmittel-Disposition ist Teil des therapiefreien Intervalls. In diesem Zeitfenster können zwar durch den Rettungsdienstträger organisierte Maßnahmen erfolgen (zum Beispiel Telefonreanimation, Maßnahmen durch Ersthelfende und professionelle Notfallhelfer-Systeme), die jedoch nicht planungsfristwirksam sind (siehe Anlage 3).
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Notruferstbearbeitungszeit
Die Dauer des Notrufgesprächs und der Rettungsmittel-Disposition ist grundsätzlich Teil des therapiefreien Intervalls (Ausnahme: Beginn von Instruktionen, zum Beispiel Telefonreanimation). Die Notruferstbearbeitungszeit bei Hilfeersuchen für lebensbedrohlich erkrankte und/oder Verletzte Notfallpatientinnen und Notfallpatienten (Notrufe) in der Leitstelle bis zur Alarmauslösung eines geeigneten Rettungsmittels soll möglichst kurzgehalten werden.
Die Notruferstbearbeitungszeit in Leitstellen (Zeitpunkt „Notrufannahme“ bis Zeitpunkt „Alarmauslösung“) sollte bei Notfallpatientinnen und Notfallpatienten so schnell wie möglich erfolgen und bei zum Beispiel vermuteten Reanimationen (GVS-6 Patientinnen und Patienten) nach dem Meldebild 60 Sekunden nicht übersteigen.
Grundsätzlich gilt dabei, dass lebensbedrohliche Notfälle am schnellsten erkannt und disponiert werden müssen sowie gegebenenfalls eine Telefonreanimation durchgeführt werden muss, während für weniger dringliche Hilfeersuchen auch längere Abfrage- und Dispositionszeiten tolerabel sind, bis ermittelt wurde, welches geeignete Versorgungsmittel oder -system erforderlich ist. Weiteres zur Differenzierung ergibt sich aus der Anlage 1.
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Hilfeersuchen von Nicht-Notfallpatientinnen und -patienten
Hilfeersuchen von Kranken, Verletzten oder sonstigen hilfsbedürftigen Personen, die keine Notfallpatientinnen beziehungsweise Notfallpatienten sind und die nicht zum Sicherstellungsauftrag der Kassenärztlichen Vereinigungen gemäß § 75 des Fünften Buches Sozialgesetzbuchs – Gesetzliche Krankenversicherung – (Artikel 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477, 2482), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 25. Februar 2025 (BGBl. 2025 I Nr. 64) geändert worden ist, gehören (zum Beispiel Hilfesuchende im öffentlichen Raum, bei denen eine zeitnahe Abklärung erforderlich ist oder hilflose Personen) werden mit weiteren Einrichtungen des Rettungsdienstes (zum Beispiel mittels Beratung durch das Leitstellenpersonal oder des Telenotarztdienstes, das vor Ort befindliche Rettungsfachpersonal oder sonstige medizinische Fachkräfte) innerhalb von vorgegebenen Zeitkorridoren abgeklärt und gegebenenfalls in dafür geeignete Versorgungseinrichtungen befördert. Damit diejenigen Hilfesuchenden, die vor Ort abklärbar sind, auch sicher als nicht lebensbedroht oder nicht schwer erkrankt im Sinne des § 2 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 RettG NRW identifiziert werden können und vor Ort verbleiben, oder auch für eine effektive Behandlung in andere geeignete Versorgungseinrichtungen befördert oder vermittelt werden können (Case Management), ist ebenfalls ein Patientenklassifizierungssystem erforderlich (siehe Anlage 1). Es wird empfohlen, die Bedarfsplanungen, die derzeit völlig getrennt und unabhängig voneinander erfolgen, damit gemeinsam abzustimmen und zu harmonisieren.
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Geltungsbereich
Die Planungsfrist ist für den jeweiligen Rettungsdienstbereich eine Planungsgröße zur Bemessung der Vorhaltung und Stationierung der Rettungsmittel, die es erlaubt, Hilfeersuchen im Sinne des RettG NRW innerhalb der Planungsfrist und mit einem ausreichenden Einsatzwert zu bedienen. Planungsfristrelevante Einsätze sind dadurch gekennzeichnet, dass die Disponentin beziehungsweise der Disponent in der Leitstelle im Rahmen des Notrufgesprächs die unmittelbare Vitalbedrohung erkennt und zum Beispiel die Entsendung eines Notarzt-Einsatzfahrzeugs erforderlich ist oder zumindest Hinweise darauf feststellbar sind und die Entsendung eines Rettungswagens erforderlich ist. Soweit andere Gefahrenmomente wie zum Beispiel eine Hilflosigkeit in ungeschützter Umgebung vorhanden sind, ohne dass für die Leitstellendisponentin beziehungsweise den Leitstellendisponenten eine Vitalbedrohung erkennbar ist, kann ein dringlicher Einsatz mit einem Krankentransportwagen erfolgen (GVS-3 Patientinnen und Patienten). Werden darüber hinaus Unfälle oder Notfälle größerer Dimension gemeldet, werden entsprechende Einsatzmittelketten aus technischer Hilfe und Rettungsdienst disponiert. Die bedarfsgerechte Festlegung wo und wie viele Rettungsmittel vorzuhalten sind, erfolgt gemäß § 12 Absatz 1 RettG NRW im Bedarfsplan. Gebiete mit geringer Notfallwahrscheinlichkeit, mit geringer Besiedlungsdichte, sowie Wald-, Wiesen- und Moorgebiete, Betriebsgelände, Truppenübungsgelände, Militärstandorte und Fernstraßen bleiben für die Planungsfrist im Bedarfsplan unberücksichtigt. Ein Betriebsgelände ist ein räumlich zusammengehörendes und nicht-öffentliches Gelände, auf dem sich Betriebsanlagen oder -mittel (technisch und baulich), Geschäftseinrichtungen oder Betriebsbereiche befinden, die in betrieblichem Zusammenhang stehen.
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Einsatzkern- und Einsatzaußenbereiche – „Schnellstes-Fahrzeug-Strategie“
Die Dauer der Planungsfrist sollte für relevante Notfälle (Notfallpatientinnen und Notfallpatienten) in Einsatzkernbereichen beziehungsweise in städtisch geprägter Bereichen 8 Minuten und in Einsatzaußenbereichen beziehungsweise ländlich geprägter Bereichen 12 Minuten für das ersteintreffende, geeignete Rettungsmittel betragen und wird mit einem in der Notfallrettung zu 90-prozentigem Zielerreichungsgrad als Schutzziel bezeichnet. Zur Differenzierung zwischen städtisch und ländlich geprägten Bereichen können die Ausweisungen in den Kommunalprofilen für kreisfreie Städte, Kreise und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen in Verbindung mit dem Typisierungskonzept des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung herangezogen werden. Für die sich an die Dispositionszeit anschließende Alarm- und Ausrückzeit (siehe Anlage 2) sind als planerisches Zeitfenster 90 Sekunden bis zu 2 Minuten zu berücksichtigen. In der Praxis hat sich gezeigt, dass hier aus planerischen Gründen mit Durchschnittswerten gearbeitet werden muss. Das bedeutet, dass für die Fahrzeiten im Einsatzkernbereich planerisch 6 Minuten und für den Einsatzaußenbereich planerisch 10 Minuten für das Erreichen der Notfallpatientinnen und Notfallpatienten (GVS-4 bis GVS-6) nach der bedarfsgerechten „Schnellstes- Fahrzeug-Strategie“ zur Verfügung stehen (siehe auch Anlage 1). Technisch und organisatorisch sind sämtliche Maßnahmen zu ergreifen, mit denen eine Reduzierung der Ausrückzeit erfolgen kann. Überschreitet die Alarm- und Ausrückzeit regelmäßig die 90 Sekunden, ist eine Überprüfung und Optimierung erforderlich.
Für Patientinnen und Patienten, deren Versorgung im Rahmen des dringlichen Krankentransports ausreichend ist, sollten im Einsatzkernbereich Patientinnen und Patienten mit der Einstufung GVS-3 mit der Inanspruchnahme von Sonder- und Wegerechten innerhalb eines Zeitkorridors von 20 Minuten und Patientinnen und Patienten mit der Einstufung GVS-2 ohne Inanspruchnahme von Sonder- und Wegerechten innerhalb von 40 Minuten erreicht werden. Für den Einsatzaußenbereich sind dabei jeweils 4 Minuten zuzusetzen. Die dahinterstehende Strategie ist, in der Fläche einen Grundschutz mit Rettungsmitteln der Notfallrettung zu erhalten. Das bedeutet, dass die „Schnellstes-Fahrzeug-Strategie“ nur für Notfallpatienten und Notfallpatienten ab GVS-4 (RTW) angewendet werden sollte, was dazu führt, dass Hilfeersuchen von Patientinnen und Patienten mit einer aufsuchenden Klassifizierung GVS-2 bis GVS-3 im Rahmen von definierten Einsatzbereichen mit Krankenkraftwagen für den dringlichen Krankentransport zu bedienen sind und damit die Rettungsmittel für die Notfallrettung für ganze Bereiche einsatzbereit vorhaltbar bleiben können. Gegebenenfalls sollten andere Rettungsmittel der Notfallrettung vorübergehend zur Absicherung verschoben werden. Aufgrund der dadurch zunehmenden Komplexität der Steuerung müssen die taktischen Folgen regelmäßig überwacht und die Strategie selbst immer wieder optimiert werden.
Der Träger des Rettungsdienstes kann zunächst entscheiden, ob er eine Differenzierung der Planungsfrist für Teile des Geltungsbereiches des Bedarfsplanes für geboten hält. Für Gebiete deren Erreichbarkeit aufgrund baulicher oder geographischer Besonderheiten innerhalb der jeweiligen Planungsfrist nicht möglich ist, kann im Bedarfsplan eine weitere Differenzierung der Planungsfrist vorgenommen und ausgewiesen werden. Die weiteren gesetzlichen Vorgaben des § 12 RettG NRW, insbesondere zu den notwendigen Beteiligungs- und Erörterungsschritten, bleiben hiervon unberührt.
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Erreichungsgrad
Die derzeitige Rettungsdienstbedarfsplanung wird entsprechend der angewandten Bemessungsmethode im Wesentlichen auf Basis der vergangenen Einsatzzahlen und -häufigkeiten vorgenommen. Das führt dazu, dass bis zur Umsetzung eines neuen Bedarfsplans, der vorgegebene Zielerreichungsgrad mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits wieder abgesunken ist, da die nachfolgend beispielhaft aufgezählten Einflussfaktoren neu beziehungsweise weiterhin wirksam sind:
1. Steigende Einsatzzahlen,
2. Abnahme der allgemeinen Fahrgeschwindigkeiten,
3. Bauliche Maßnahmen,
4. Wetter,
5. Verkehrssituationen,
6. Veranstaltungen,
7. Inanspruchnahme von Hilfesuchenden, die in einem anderen System (zum Beispiel „Vertragsärztliche Versorgung“) zu versorgen wären,
8. Verlängerte Einsatzbindung mit längerer „Transportzeit“ (siehe Anlage 1 und 2) durch längere Transportwege zu weiter entfernten Krankenhäusern,
9. Verlängerte „Krankenhausbindungszeiten“ (siehe Anlage 1 und 2) bei der Patientenübergabe in Krankenhausnotaufnahmen,
10. Ausfall von Einsatzmitteln aufgrund von Personalausfall im Rettungsdienst,
11. Erschließung neuer Wohngebiete,
12. Übernahme von Krankentransporten durch Notfallrettungsmittel aufgrund von zu geringer Bemessung oder Einsatzspitzen der Krankentransportwagen sowie
13. Erkenntnisse aus Geoinformationssystemen, im Folgenden GIS (zum Beispiel Fahrzeitprognose von GIS-gestützten Leitrechnern).
Da die hier beispielhaft genannten Verzögerungen vielfältige Ursachen und Verursacher haben, können diese Verzögerungen nicht alle über die Bedarfsplanung ausgeglichen werden.
Aufgrund dessen sind für die extrapolierte Bemessung der Rettungsmittel nur noch die planungsfristrelevanten Einsätze mit einem Schutzziel-Erreichungsgrad von 90 Prozent vorzusehen und nach der „Schnellstes-Fahrzeug-Strategie“ zu disponieren. Sinken die Erreichungsgrade während der Geltungsdauer des Bedarfsplans ab, ist eine erneute Überprüfung spätestens ab einem Erreichungsgrad von 80 Prozent (Untergrenze) vorzunehmen. Ein Erreichungsgrad von 90 Prozent gilt für die Planungsfristen der Rettungsmittel der Notfallrettung bei GVS-4 bis GVS-6 Patientinnen und Patienten. Bei Einsätzen des dringlichen Krankentransports unter Inanspruchnahme von Sonder- und Wegerechten (GVS-3 Patientinnen und Patienten) ist als Schutzziel ein Erreichungsgrad von 80 Prozent ausreichend.
Es darf geprüft werden, ob Prognosesysteme (zum Beispiel KI-Systeme) geeignet sind, ein schnelleres Eintreffen von Einsatzmitteln zu ermöglichen, um zum Beispiel im Rahmen der Notrufabfrage das Zeitintervall von der Notrufannahme bis zur gezielten Alarmierung eines geeigneten Rettungsmittels zu verkürzen und beziehungsweise oder, wo es möglich ist, vorab Einsatzmittel-Verschiebungen vorzunehmen und von der „Schnellstes-Fahrzeug-Strategie“ nur bei lebensbedrohlichen, dann aber planungsfristrelevanten Hilfeersuchen Gebrauch zu machen, um Notfallrettungsmittel zur Gebietsabsicherung und zum Erhalt des Grundschutzes zu schonen.
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Erstmaßnahmen vor Eintreffen des Rettungsdienstes
Für erkennbare Wiederbelebungseinsätze wird flächendeckend zusätzlich zur strukturierten telefonischen Anleitung und Unterstützung der Laienreanimation durch das Personal in der Leitstelle auch telefonische Kardiopulmonale Reanimation (tCPR) genannt, auch die Etablierung freiwilliger Notfallhelfer-Systeme zur Verkürzung des reanimationsfreien Intervalls empfohlen, da sie nachweislich die Überlebensrate erhöhen können. Ebenso wird empfohlen, professionelle Ressourcen anderer Gefahrenabwehrbehörden (zum Beispiel Feuerwehr, Polizei, privater Krankentransport) für die Durchführung von lebensrettenden Sofortmaßnahmen bei Notfallpatientinnen beziehungsweise Notfallpatienten miteinzubeziehen. Für Werkgelände und schwer erreichbare Wohngebiete werden Einweisende empfohlen.
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Prähospitalzeit kritischer Erkrankungen und Verletzungen
Da das Überleben und die Minimierung schwerer gesundheitlicher Folgeschäden bei Notfallpatientinnen und Notfallpatienten nicht nur von der Eintreffzeit des Rettungsdienstes am Einsatzort abhängig sind, sondern bei bestimmten, kritischen Erkrankungen und Verletzungen auch von der schnellstmöglichen, definitiven Versorgung in einem geeigneten Krankenhaus, sollte dieser Zeitraum der Prähospitalzeit bei der Planung der rettungsdienstlichen Infrastruktur ebenfalls berücksichtigt werden. Gut belegt ist dieser Zusammenhang für den akuten Schlaganfall, das Polytrauma (einschließlich der traumatischen Hirnverletzungen), bei Vorliegen einer Sepsis und für den akuten Herzinfarkt (ST-Hebungsinfarkt). Dieser Zeitraum der Prähospitalzeit sollte für die genannten kritischen Erkrankungen und Verletzungen planerisch maximal 60 Minuten betragen und sollte ebenfalls im Bedarfsplan dargestellt und in der notfallmedizinischen Weiterversorgung berücksichtigt werden. Bei geplanten oder möglichen Veränderungen in der Krankenhauslandschaft wie zum Beispiel Verlagerungen von Leistungsgruppen oder Krankenhauschließungen, sollte dieses Schutzziel mitberücksichtigt werden.
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Fehlende Verfügbarkeit vorhandener Einsatzmittel (bis hin zum Ausfall)
Aus unterschiedlichen Gründen kann es zu einer fehlenden Verfügbarkeit vorhandener Rettungsmittel kommen. Dadurch verlängern sich die Eintreffzeiten und der Erreichungsgrad des Schutzziels nimmt ab. Die Träger des Rettungsdienstes müssen durch geeignete Maßnahmen sicherstellen, dass zumindest der Grundschutz für die Versorgung von Notfallpatientinnen beziehungsweise Notfallpatienten im Rahmen der Planungsfrist möglichst lange aufrechterhalten werden kann.
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Rettungswachen
Der Träger des Rettungsdienstes hat für die zeitgerechte Behandlung von Notfallpatientinnen und Notfallpatienten die dafür erforderliche Anzahl und Standorte an Rettungswachen nach sachgerechten und notfallmedizinischen Erkenntnissen festzulegen (Standortplanung). Für kranke, verletzte und sonstige hilfsbedürftige Personen, die nach Identifikation durch ein Klassifizierungssystem weder in den Sicherstellungsauftrag des Rettungsdienstes noch in den Sicherstellungsauftrag der Kassenärztlichen Vereinigung fallen, kann der Träger des Rettungsdienstes in eigenem Ermessen optionale Einsatzmittel (zum Beispiel für den Akutgesundheitsdienst) an Rettungswachen stationieren und zur Abklärung beziehungsweise Versorgung durch die Leitstelle entsenden.
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Einsatz von Notfallrettungsmitteln im Krankentransport
Die im Rettungsdienst vorzuhaltenden Rettungsmittel haben trotz der Wahrnehmung unterschiedlicher Versorgungsleistungen (Notfallrettung, Krankentransport) Wechselwirkungen untereinander, insbesondere wenn in dem einen Bereich keine bedarfsgerechte Vorhaltung vorhanden ist. So kommt es in einigen Bereichen vor, dass zum Beispiel ein Rettungswagen bei Unterdeckungen im Krankentransport sicherstellend „einspringt“ und damit die planungsfristrelevante Vorhaltung der Notfallrettung schwächt, was zum Absinken des Zielerreichungsgrades führt. Aufgrund dieses Zusammenhangs ist durch die Träger des Rettungsdienstes auf eine kontinuierliche Aktualisierung der Bedarfsplanung gemäß RettG NRW zu achten und für eine ausreichende Reservevorhaltung im Segment Krankentransport zu sorgen.
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Inkrafttreten, Außerkrafttreten
Dieser Runderlass tritt am Tag nach der Veröffentlichung im Ministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen in Kraft und am 31. Juli 2030 außer Kraft.
Gleichzeitig mit dem Inkrafttreten dieses Runderlasses treten der Runderlass „Fortschreibung der Rettungsdienstbedarfspläne / Definition des Begriffs „Hilfsfrist“ in der Notfallrettung“ vom 08. November 2010 - 231 – 0712.1.2 – (n. v.) und mein Runderlass „Empfehlungen zum Thema „Hilfsfristen“ in der Notfallrettung“ vom 28. November 2017 – IV B 4 - G.0713 – (n. v.) außer Kraft.
MB. NRW 2025 Nr. 51.